Im Interview mit BVT analysiert die Politikwissenschaftlerin Laura von Daniels den Einfluss der Wirtschaftslage in den USA auf die Präsidentschaftswahl 2024 – und schlägt einen Bogen nach Deutschland. Das Gespräch wurde Mitte August 2024 geführt.
Frau von Daniels, wie stark beeinflusst die Wirtschaftslage in den USA Ihrer Ansicht nach die Wahlchancen von Präsidentschaftskandidaten?
Es gilt immer noch das alte Diktum, dass die individuelle Wahlentscheidung wesentlich an der Entwicklung der Wirtschaft in den USA hängt, auch wenn andere politische Faktoren, wie ideologische und kulturelle Neigungen eine größere Rolle spielen mögen. Es wird aber niemand infrage stellen, dass es für Kamala Harris sehr schwer werden dürfte, die Präsidentschaftswahl zu gewinnen, wenn die Inflation erneut steigt, das Wachstum einbricht oder die Arbeitslosigkeit signifikant ansteigt. Reagieren die Märkte nervös, etwa auf die Bekanntgabe neuer Arbeitslosenzahlen, verunsichert das auch die Wählerinnen und Wähler. Die Wahlentscheidung ist letztlich davon abhängig, welchem Kandidaten oder welcher Kandidatin die Menschen zutrauen, die Wirtschaft in den nächsten vier Jahren zu stabilisieren und zu stärken.
Orientieren sich Investoren stärker an den Entscheidungen der Federal Reserve (Fed) oder an der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik?
Die Zinsentwicklung ist sicherlich maßgeblich für viele Investitionsentscheidungen. Allerdings spielen auch große fiskalische Maßnahmenpakete, wie unter der Biden-Regierung, eine wichtige Rolle. Präsident Joe Biden hat in Reaktion auf die Pandemie, aber vor allem auch, um seine Agenda eines „green new deal“ umzusetzen, eine Reihe weitreichender Gesetze auf den Weg gebracht. Unternehmen mit US-Geschäft haben auf das Infrastrukturgesetz von 2021, mit geplanten Ausgaben von 850 Milliarden US-Dollar, reagiert. Das Gesetz wurde mit einer überparteilichen Mehrheit verabschiedet, was die Ausgaben beständiger und öffentliche Aufträge attraktiver macht, weil es bei einem Regierungswechsel nicht wieder umgekehrt wird. Hinzu kam im Sommer 2022 der Inflation Reduction Act (IRA), mit einem damals erwarteten Umfang von 369 Milliarden US-Dollar über zehn Jahre. Das Gesetz soll langfristig den Umbau der US-Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energiequellen und massive Einsparungen von CO₂ ermöglichen. Der IRA wird nicht nur als wichtigste klimapolitische Maßnahme der US-Geschichte gesehen, sondern als zentrales Instrument einer neuen Industriepolitik, mit massiven Subventionen, um industrielle Produktion, z.B. von Elektrofahrzeugen und den dazu notwendigen Batterien in den USA anzusiedeln. Hinzu kommt der Chips and Science Act mit einem Umfang von über 50 Milliarden US-Dollar an staatlichen Investitionen, um die Halbleiterindustrie in den USA zu fördern. Investorinnen und Investoren verfolgen sehr genau, welche Auswirkungen Bidens Industrie- und Standortpolitik auf Investitionen, Wachstum und Beschäftigung haben. Viele fragen sich auch, wie es in den nächsten vier Jahren damit weitergeht.
Welche wirtschaftspolitischen Veränderungen erwarten Sie bei einem Sieg der Republikaner im November 2024, und könnten bisher unter Präsident Biden verfolgte Politikansätze rückgängig gemacht oder verändert werden?
In einzelnen Bereichen muss man schon von einer Umkehr ausgehen, etwa in der globalen Zusammenarbeit in multilateralen Organisationen wie der World Trade Organisation (WTO). Anstelle einer Annäherung mit der EU bei Handels- und Technologie-Fragen, wie derzeit im Rahmen des Trade and Technology Council (TTC) diskutiert, wäre unter Trump eher mit einer Rückkehr von einseitigen US-Zöllen auf europäische Waren zu rechnen. Das hat er bereits angekündigt und er hätte die rechtlichen Mittel dafür. Sicher würde er die USA auch erneut aus dem Pariser Klimaabkommen herausführen. In anderen Bereichen ist eine völlige Umkehr der Politik Bidens weniger wahrscheinlich, etwa was die Subventionen im Rahmen des IRA und des Chips and Science Act betrifft. Davon profitieren bisher überwiegend Regionen, in denen die Republikanische Partei die Mehrheit hat. Würde Trump die staatlichen Zuwendungen streichen, müsste er mit starkem Widerstand der eigenen Gouverneurinnen und Gouverneure rechnen. Und auch viele große Unternehmen, die bereits massiv in Klimamaßnahmen investiert haben, dürften Druck auf ihn ausüben.
Würde „Bidenomics“ mit einer Präsidentin Kamala Harris enden? Welche wirtschaftlichen Schwerpunkte könnten die Demokraten in einer Harris-Amtszeit setzen?
Bei Kamala Harris sehe ich eher eine Fortsetzung der „Bidenomics“, die sie ja als Vize-Präsidentin voll mitgetragen hat. Harris steht hinter der klima- und industriepolitischen Agenda. Sie hat in der Vergangenheit teils noch progressivere Forderungen vertreten, als sie unter Biden umgesetzt wurden, etwa im Bereich der Umverteilung zwischen hohen und niedrigeren Einkommen. Gleichzeitig ist sie Pragmatikerin und steht auch hinter den Kompromissen, die Biden etwa zwischen dem linken und dem eher konservativen Flügel in der Demokratischen Partei eingegangen ist, um wichtige Gesetze wie den IRA überhaupt durch den Kongress zu bringen. Wie viel sie von einer eher progressiven Agenda umsetzen könnte, würde aber vor allem von den Mehrheiten im Kongress abhängen. Hinzu kommen fiskalpolitische Faktoren und die Schuldenentwicklung, die den Handlungsspielraum stark einschränken können, wenn sich keine Mehrheit im Kongress findet, um etwa die Schuldenobergrenze anzuheben.
Was bedeutet das für Deutschland?
Für die deutsche Wirtschaft wäre es besser, wenn sich die US-Politik in einem ruhigeren Fahrwasser bewegt. Mit Harris müssten deutsche Exportunternehmen vermutlich nicht mit so viel feindseliger Rhetorik und auch nicht mit einer direkten Wiedereinführung von Stahl- und Aluminiumzöllen oder gar mit neuen Zöllen auf Autos rechnen, wie von Trump angekündigt. Allerdings hätte auch Harris hohe Erwartungen an Deutschland als wichtiges EU-Mitgliedsland. Das bezieht die Unterstützung der Ukraine und die Erhöhung der Verteidigungsausgaben im Rahmen der NATO mit ein. Harris steht außerdem für einen robusten wirtschaftspolitischen Kurs gegenüber China. Sie könnte von der EU fordern, noch mehr Schritte gegenüber China einzuleiten, wie etwa die bereits vorläufig eingesetzten EU-Einfuhrzölle auf E-Fahrzeuge und weitere Exportkontrollen im Bereich der Spitzentechnologie.
Wie schätzen Sie die Volatilität der Finanzmärkte bis zum Jahresende ein und welche Faktoren könnten die Märkte beeinflussen?
Aktuell wird sehr stark auf die Entwicklung bei den Arbeitslosenzahlen geschaut, weil sie seit einer Weile leicht angestiegen sind. Darin sehen Ökonominnen und Ökonomen generell einen Hinweis auf eine nahende Rezession. Auf der anderen Seite entwickelt sich das Wachstum gut und auch die Inflation hat sich in den letzten Monaten stabilisiert. Die Erwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung sind eher positiv. Natürlich können aber unerwartete Ereignisse, wie außen- oder innenpolitische Krisen, die Märkte negativ beeinflussen.
Über die Interviewpartnerin: Dr. Laura von Daniels leitet seit 2019 die Forschungsgruppe Amerika an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Dort beschäftigt sie sich u.a. intensiv mit der Wirtschaftspolitik der USA, internationaler Handelspolitik und den transatlantischen Beziehungen.