Im iQ-Interview spricht Prof. Dr. Bernd Hirschl vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) über die Chancen und Herausforderungen der Energiewende.
Herr Hirschl, wie bewerten Sie die Effizienz, mit der Deutschland die geplanten Hochspannungs-Stromtrassen für den Transport des Stroms aus erneuerbaren Energien umsetzt?
Die Übertragungsnetze sind enorm wichtig, um die Windstromüberschüsse aus dem Norden sowie die Solarstromüberschüsse und Industriestrombedarfe aus dem Süden auszugleichen. Hier hängen wir mit den Planungen und dem Bau der Netze mehrere Jahre zurück. Politik und Planung waren jahrelang zu langsam und inkonsequent – absurderweise auch in den von den Netzengpässen besonders betroffenen südlichen Bundesländern. Die aktuelle Regierung hat nun Tempo und Ziele erhöht, und auch die Beschleunigungsgesetze für Planung und Genehmigung werden helfen. Allerdings sind die Übertragungsnetze ja nur eine Baustelle beim Netzthema. Wir müssen viel stärker auch die Kapazitätserweiterung der Verteilnetze und die Flexibilisierung vorantreiben; auch hier stehen Milliardeninvestitionen an.
„Geldströme sollen stärker in klima- und umweltfreundliche Projekte gelenkt werden“
Investitionen in die Energiewende nach Sektoren sind laut Studien zwischen 2013 und 2022 weltweit um 889 Milliarden US-Dollar gestiegen. Wie schätzen Sie den Einfluss institutioneller Investoren ein – und wie viel Investitionsvolumen aus dem privaten Sektor braucht Deutschland für das Ziel der Energiewende?
Die klimaneutrale Transformation ist ja nicht nur eine Aufgabe für den Energiesektor, sondern für die gesamte Wirtschaft. Insofern ist das Investitionsvolumen riesig: Allein für Deutschland werden bis zur Klimaneutralität in einigen Studien mehrere Billionen Euro geschätzt, die nun in erneuerbare statt fossiler und nuklearer Anlagen sowie in den Umbau der Infrastrukturen fließen müssen. Bisher haben staatliche Investitionen eine große Bedeutung, beispielsweise bei Infrastrukturen oder kommunalen Liegenschaften. Aber auch private Investitionen vor Ort sind und bleiben wichtig, zur Zielerreichung und für die Akzeptanz. Mit den institutionellen Investoren kommt eine weitere Gruppe hinzu, die immer wichtiger werden wird, insbesondere für größere Projekte. Klimaneutrale Investitionen bieten zukunftssichere Anlageoptionen, die ja auch durch die Verabschiedung der sogenannten EU-Taxonomie gestärkt werden. Damit sollen Geldströme stärker in klima- und umweltfreundliche Projekte gelenkt werden.
Wie groß ist das Potenzial für den Markt der Speichertechnologien und wo liegen die wirtschaftlichen Herausforderungen?
Der Speichermarkt wird ebenfalls großes Wachstum erfahren, wie wir derzeit bereits in einzelnen Segmenten sehen können. So hat sich der Absatz kleiner Heimspeicher für Photovoltaikanlagen im letzten Jahr nahezu verdoppelt. Auch Großbatterien, die bereits heute bedeutende Teile des Regelenergiemarktes abdecken, verbreiten sich dynamisch und werden zukünftig in weiteren Marktsegmenten eine wichtige Rolle spielen. Dabei wird sich die benötigte Speicherleistung bis 2030 mindestens verzehnfachen und danach noch weiter ansteigen. Der für die Saisonal- und Langzeitspeicherung benötigte Wasserstoff ist langfristig ebenfalls gesetzt, hier entwickelt sich gerade mit der sogenannten Kraftwerksstrategie der Bundesregierung ein konkreterer Zeitplan. Und spätestens nach Abschluss der kommunalen Wärmeplanungen – ab 2026 – wird quer durch die Republik auch das Thema der Wärmespeicher in Fahrt kommen.
Energieeinsparung ist zentraler Bestandteil der EU-Strategie zur Klimaneutralität bis 2050 – wie beurteilen Sie diesen Markt, insbesondere auch für Investoren?
Alle Energieszenarien zeigen uns übereinstimmend, dass wir ohne die Einsparung etwa der Hälfte unseres ursprünglichen Energieverbrauchs nicht bis 2045 klimaneutral werden können. Das liegt einfach daran, dass wir den Umbau des Energiesystems nicht so schnell hinbekommen und dass Erneuerbare, aber auch Speicherkapazitäten bis 2045 noch knapp sein werden. Zudem haben uns die Energiepreiskrisen der letzten Jahre gezeigt, was wir eigentlich seit den Ölpreiskrisen der 1970er-Jahre schon wissen: Jede dauerhaft eingesparte Kilowattstunde ist wertvoll. Da die Energiepreise vermutlich mittel- bis längerfristig auf einem höheren Niveau bleiben, werden sich Energiedienstleistungen wie beispielsweise Energie-Contracting, -Beratung und -Management verstärkt lohnen. Auch das neue Energieeffizienzgesetz wird seinen Teil dazu beitragen.
„Wichtige Einflussfaktoren weisen klar in eine Richtung: die umwelt- und klimafreundliche Transformation in allen Sektoren.“
Die Zentralbanken lassen sich mit der Senkung des Leitzinses Zeit – auch wenn davon ausgegangen wird, dass die Zinsen noch in diesem Jahr fallen werden. Welche Auswirkungen hat dies auf die Tendenzen der Investoren im Bereich erneuerbare Energien und Infrastruktur?
Die hohen Zinsen sind aktuell sicher ein Hemmnis, allerdings für nahezu alle größeren Investitionen gleichermaßen. Besonders betroffen sind diejenigen Branchen, bei denen neben den Zinsen auch die Rohstoff- und Energiepreise hoch sind und dazu noch ein Fachkräftemangel herrscht. Bei einigen Infrastrukturen kommt noch die Bundesnetzagentur hinzu, die maßgebliche Kosten- und Erlösbestandteile reguliert. In welchen Bereichen sich die Gesamtsituation in nächster Zeit wieder aufhellt, ist nicht leicht zu prognostizieren, aber auch hier gilt: Wichtige Einflussfaktoren wie der CO2-Preis, der Ausbaupfad erneuerbarer Energien und die schon angesprochene Taxonomie weisen perspektivisch klar in eine Richtung: die umwelt- und klimafreundliche Transformation in allen Sektoren.
Prof. Dr. Bernd Hirschl ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und promovierter Politikwissenschaftler. Er ist seit 1998 am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und leitet dort das Themenfeld Klima und Energie. Parallel ist er seit 2012 an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und leitet dort das Fachgebiet Management regionaler Energieversorgungssysteme. Bernd Hirschl hat eine Vielzahl inter- und transdisziplinärer Forschungsvorhaben geleitet und berät regelmäßig politische Akteure auf unterschiedlichen Ebenen. Aktuell ist er zudem Sprecher des Berliner Klimaschutzrats und Mitglied des Akademienprojekts Energiesysteme der Zukunft.